Kall – 23 Stolpersteine erinnern in Kall an 23 Opfer der Judenverfolgung in den Jahren des Nationalsozialismus. Von den auch über 80 Jahre später immer noch unfassbaren Auswüchsen dieser menschenverachtenden Hatz zeugt nicht zuletzt auch die Pogromnacht vom 9. November 1938.
Bevor sich Kaller Bürger und Ratsvertreter gemeinsam mit Bürgermeister Hermann-Josef Esser am Ort der ehemaligen Synagoge zum stillen Gedenken trafen, machten sie diesmal zunächst Station an der Ecke Aachener-/ Kallbachstraße. Dort nämlich lebte Hermann Nathan, der bei der Machtergreifung Hitlers 40 Jahre alt war. 1942 wurde der Kaller nach Trawniki (Polen) deportiert und ermordet. Auch an sein Schicksal erinnert ein Stolperstein – den man momentan allerdings an der Stelle vergeblich sucht, denn der Stein fehlt seit der Flutnacht.
„Ich bin den ,Omas gegen Rechts‘ sehr dankbar für ihr Engagement“, betonte Bürgermeister Hermann-Josef Esser anlässlich des Gedenkens an eben jenem Ort. Die „Omas gegen Rechts“ um Waltraud Forner, Petra Kanzler und Marianne Kordes nämlich hatten die Neubeschaffung des Steines initiiert und dafür im Rahmen der Herbstschau Spenden gesammelt. Verlegt werden soll er erst, so schlug Esser vor, „wenn auch das Umfeld wieder angemessen ist, also wenn der 2. Bauabschnitt an der Aachener Straße erfolgt.“ Bis dahin soll der Stolperstein mit Erläuterungen in einer Vitrine im Rathaus ausgestellt werden. „Wenn dann der Zeitpunkt gekommen ist, werden wir ihn gemeinsam hierherbringen“, so der Bürgermeister.
Bewegend war der Redebeitrag von Luise Binger, die zu Beginn einige der zehn Gebote auf Hebräisch rezitierte. „Die zehn Gebote sind bis heute die Grundlage der jüdischen und christlichen Ethik“, sagte sie und stellte dem von Wolfram Königsfeld gelesene Textpassagen aus einer Rede Adolf Hitlers entgegen, die mit den Worten enden: „Gegen die zehn Gebote kämpfen wir.“ Diese Kampfansage Hitlers habe auch den im amerikanischen Exil lebende Thomas Mann umgetrieben und zu der Erzählung „Das Gesetz“ inspiriert.
Dass grundlegende Werte auch heute wieder in Gefahr sind, zeigte Bürgermeister Esser auf: „In Zeiten, in denen auch in Europa fragwürdige Regierungen an die Macht kommen, in Zeiten, in denen Regierungen sich menschenverachtend gegenüber Minderheiten verhalten, in Zeiten, in denen verlässlich geglaubte Demokratien wie die USA zerbrechlich erscheinen, halten wir umso mehr unsere Werte hoch. Werte wie Toleranz gegenüber allen Mitmenschen - unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Glauben oder ihrer Art zu leben.“ Daher werde man in Kall auch künftig die Erinnerung an die Gräuel des Naziregimes wachhalten: „Wir werden immer wieder daran erinnern, was damals am 9. November und in den Jahren bis zum Ende des 2. Weltkrieg geschehen ist. Gerade auch in Zeiten wie diesen, in denen Rassismus, das Gefühl der Überlegenheit gegenüber anderen Völkern, Propaganda und Desinformation so präsent sind.“
Um auch die ehemalige Synagoge im Gedächtnis der Menschen zu halten, so Ortsvorsteher Stefan Kupp, plane er neben der Gedenktafel für das frühere jüdische Gotteshaus eine Zeichnung nebst Informationen zu installieren. Die Zeichnung zeigt die Kaller Synagoge.
Zu den bewegenden Klängen des Fagotts der Musikerin Friederike Nesselrode hinterlegte Hermann-Josef Esser neben einem Gesteck die Tafel „Rat und Bürgermeister“ am Gedenkstein ab.
Wer sich nach dem gemeinsamen Ausklang in der Gaststätte „Gier“ auf den Heimweg durch das mittlerweile finstere Kall machte, sah immer wieder ein Leuchten auf dem Asphalt: Auch in diesem Jahr waren an jedem der Stolpersteine eine Kerze und eine weiße Rose abgelegt worden, um an ermordete jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger zu erinnern.
Detaillierte Informationen zu den Stolpersteinen auch in Kall gibt es hier:
www.stolpersteine.wdr.de (Öffnet in einem neuen Tab)